Indiana Jones lässt grüssen

Reportage / Migros-Magazin

Sie suchen mit dem Metalldetektor nach stummen Zeugen der Vergangenheit. Auf Schatzsuche mit Romano Agola, Beatrix Koens und Jonas Glanzmann.

Romano Agola (53) steht in Vollmontur mit seinem Metalldetektor mitten im Wald. Er ist sich sicher: Hier ist die Wahrscheinlichkeit gross, Münzen und andere Gegenstände aus der Römer- und Keltenzeit zu finden. Wir sind irgendwo in Bern. Wo genau, ist geheim. «Ich will ja nicht, dass gleich jeder hier aufkreuzt», sagt Agola.

Der Forscher hat vor dem Ortstermin Satellitendaten studiert. Die haben ihm gezeigt: Der Untergrund, auf dem wir gerade stehen, wurde von Menschen geformt. Und tatsächlich: Wer den Waldboden etwas genauer anschaut, entdeckt überall zerbrochene Ziegel. «Ein gutes Zeichen. Sie sind aus der Römerzeit. Wir befinden uns an einer Stelle, wo möglicherweise römischer Aushub deponiert wurde.»

Romano Agola.

Es dauert nicht lange, da bleibt Agola abrupt stehen. Er greift zu seinem kleinen Spaten am Gürtel, fängt zu schürfen an und legt etwas Rundes frei. Das Fundstück ist eine römische Münze aus Bronze, die in den vergangenen knapp 2000 Jahren im Waldboden schlummerte. Vorsichtig säubert Agola das Objekt. Auf einer Seite kommt ein Frauenkopf zum Vorschein. Es könnte sich um Faustina handeln, die Frau des römischen Kaisers und Philosophen Marc Aurel. Jedenfalls stammt die Münze aus dem ersten oder zweiten Jahrhundert nach Christus.

Sie ist für die Forschung ein attraktiver Fund, finanziell jedoch uninteressant. «Der Markt ist mit Römermünzen überflutet. Im Internet werden Tausende angeboten», weiss Agola. Von grösserem Wert sei da schon das keltische Exemplar, das der Schatzsucher wenig später ausbuddelt: «Die Kelten sind unsere Vorfahren. Deshalb freue ich mich über solche Funde besonders. Schon verrückt, wenn man bedenkt, dass der letzte Mensch, der diese Münze in der Hand hielt, ein Kelte vor 2000 Jahren war. Sie stammt zirka aus den Jahren 20 bis 50 vor Christus.» Auch dieser Fund gehört dem Kanton, also der Allgemeinheit.

Werkzeuge für die Schatzsuche: ein handlicher Spaten und ein kleines Metallsuchgerät, ein sogenannter Pinpointer.

Agola ist kein Raubgräber. Er ist im Auftrag der Wissenschaft unterwegs. Die Münzen wird er den Archäologen des Kantons Bern abgeben. Davon leben kann er allerdings nicht. Agola arbeitet nebenbei in der Sicherheitsbranche. Hat er eine Münze ausgegraben, muss er genau notieren, an welcher Stelle und in welcher Tiefe er sie gefunden hat. «Würde ich das nicht tun, wären die Funde für die Wissenschaft wertlos.»

Das Schatzsuchfieber hat Agola bereits als 14-Jähriger gepackt. Damals fand er beim «Härdöpfele» auf einem Acker eine österreichische Münze. Von seinem ersten Lehrlingslohn kaufte er sich einen Metalldetektor.

Agolas wertvollster Fund des Tages: eine keltische Münze.

Knapp sechs Stunden lang sucht Agola heute den Waldboden in Bern ab. Am Ende des Tages kann sich seine «Beute» sehen lassen: Vier römische und eine keltische Münze, eine römische Fibel und einen römischen Schlüssel hat er dem Waldboden entlockt. «Und das ist nur die Spitze des Eisbergs», ist sich der Forscher sicher. Er wird wiederkommen.

Metallortung in den Bergen

Nicht nur mitten in der Stadt, auch an den abgelegensten Orten lassen sich Schätze finden. Wir stehen auf einem kleinen, unscheinbaren Plateau, etwa so gross wie ein halbes Fussballfeld, mitten in der Berglandschaft des Urner Oberalppasses. Hier, gut 2000 Meter über Meer, liegen Gegenstände begraben, die Wanderer während Jahrhunderten verloren haben.

Wir begleiten Beatrix Koens (44). Mit einem Metallortungsgerät sucht sie den Boden nach Objekten ab. Auch sie ist eine moderne Schatzsucherin. Und es dauert nicht lange, da meldet sich auch schon der ­Detektor zum ersten Mal. Er quietscht schrill – ein gutes Zeichen!

Beatrix Koens.

Mit der Hand wühlt Koens im Dreck, lässt die Erde durch die Finger gleiten, bis auf ihrer Handfläche etwas Rechteckiges erscheint: eine Gürtelschnalle aus Bronze, an den Rändern reich verziert. Koens strahlt. «Ein schönes Stück, wahrscheinlich aus dem Mittelalter», meint die Expertin und verstaut den «Schatz» in einem kleinen Plastiksäcklein, bevor sie mit ihrem Smartphone die Koordinaten des Fundorts bestimmt. Später wird auch sie sämtliche Fundstücke dieser Exkursion der kantonalen Fachstelle für Denkmalpflege und Archäologie übergeben.

Seit Koens als kleines Mädchen auf dem Acker neben ihrem Elternhaus eine Münze aus dem 16. Jahrhundert fand, hat sie das Schatzsuchfieber gepackt. Koens wuchs in Ovezande, einem Ort in den Niederlanden, auf. Fast jeder kannte sie dort, spätestens nachdem sie als Jugendliche eine römische Münze gefunden hatte.

Ausbeute der Exkursion am Oberalppass: ein Löffel, eine Gürtelschnalle, zwei Ringe und eine Markierung für Stoffe.

Heute lebt Beatrix Koens mit ihrer Frau in Altdorf UR und ist als leidenschaftliche Forscherin unterwegs. «Die Prospektion ist ein schönes Hobby und bietet mir einen guten Ausgleich zu meinem Beruf als Medizininformatikerin», sagt sie.

Als sie vor acht Jahren in den Kanton Uri kam, war sie von Anfang an fasziniert von der Bergwelt. Nicht zuletzt deshalb wurde sie bei der kantonalen Fachstelle für Denkmalpflege und Archäologie vorstellig. Denn auch der Kanton Uri verlangt für die Schatzsuche eine offizielle Bewilligung, und die Funde müssen der Amtsstelle übergeben werden.

«Den Austausch mit den Profis schätze ich sehr», sagt Koens. Dass sie im Umgang mit dem Metalldetektor versiert ist, zeigt am Ende des Tages ein Blick auf die Ausbeute: eine Stoffmarke aus Blei aus dem Mittelalter, zwei Ringe, einer davon vergoldet, Gewehrkugeln aus dem 18. Jahrhundert und ein Schweizer Einräppler aus dem Jahr 1884. Das alles haben die Menschen über die Jahrhunderte hier verloren. Und es wird über die nächsten Jahrhunderte wohl noch vieles dazukommen.

Burgenfund mitten im Emmental

Als Jonas Glanzmann (42) realisierte, was er gerade gefunden hatte, musste er sich erst mal hinsetzen. Er war in der Gemeinde Trachselwald im Emmental im Wald unterwegs und wusste, dass hier irgendwo vor sehr langer Zeit die sagenumwobene «vergessene Stadt» gestanden haben musste – eine Adelsburg, umgeben von Wohnhäusern. Die Adelsfamilie der Freiherren von Rüti soll im 11. Jahrhundert darin residiert haben. Glanzmann recherchierte monatelang. Er vergrub sich in Staatsarchiven, studierte Luftbilder, um unnatürliche Strukturen auf den Karten und Aufnahmen zu entdecken.

Als Glanzmann genug Informationen beisammen hatte, zog er los, tief in den Wald hinein. Da fiel ihm ein ungewöhnlicher Hügel mit einem Plateau und extrem steilen Flanken auf. Glanzmann war sich sicher: Das ist ein Burggraben. Genau hier, auf diesem Plateau, stand die Adelsburg.

Jonas Glanzmann.

Wir begleiten Jonas Glanzmann zum Fundort. Im Zwielicht der Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg durch das Blätterdach bahnen, steht er auf einer kleinen Lichtung und erklärt uns, wo die Burg gestanden haben muss, wie sie gesichert war. Er erzählt detailliert und lebhaft, vor dem geistigen Auge erweckt er die «vergessene Stadt» zum Leben.

Doch wie findet man überhaupt ehemalige Burgstandorte? «Ich habe ein gut geschärftes Auge», sagt Glanzmann. Als ausgebildeter Bauzeichner könne er sich gut vorstellen, wo Bauten gestanden haben mussten. Hat Jonas Glanzmann eine solche Stelle gefunden, meldet er diese den Kantonsarchäologen. «Es dauerte eine Weile, bis sie mich als Hobbyforscher ernst nahmen. Doch meine Entdeckungen haben bewiesen, dass ich nicht nur heisse Luft fabriziere», sagt er.

Seine Entdeckung der «vergessenen Stadt» hat für Furore gesorgt. «Ich bin sehr gespannt, was man dort alles finden wird», sagt Glanzmann, der sich nicht an der Detailsuche beteiligt, «das überlasse ich den Profis.» Doch zu wissen, dass er dazu beitragen kann, mehr über die Geschichte des Emmentals zu erfahren, motiviert Glanzmann zu weiteren Exkursionen. Gern auch in Begleitung seines siebenjährigen Sohnes, der ihm schon bei der Burgensuche Gesellschaft leistete. «Es ist einfach ein Abenteuer. Wer wäre da nicht gern dabei?»

Interview

«Raubgräberei kann schnell teuer werden»

Adriano Boschetti (44) ist Leiter des Archäologischen Dienstes im Amt für Kultur des Kantons Bern.

Adriano Boschetti, was halten Sie von Hobbyforschern wie Romano Agola, Bea Koens und Jonas Glanzmann?

Wir sind froh, dass es sie gibt. Gerade im grossen Kanton Bern können wir nicht in allen Regionen kulturhistorisch wertvolle Objekte und Orte im Auge behalten. Sie melden uns nicht nur neue Funde, sondern geben auch Bericht über den Erhaltungszustand bekannter Fundstellen. Dann sind wir natürlich auch dankbar, dass sie uns ihre Funde überlassen und den genauen Fundort festhalten.

Warum müssen die Funde abgegeben werden?

Weil alles, was im Boden gefunden wird und einen kulturhistorischen Wert hat, der Allgemeinheit gehört. Damit wir und spätere Generationen unsere Geschichte erforschen können, sind wir darauf angewiesen, dass solche Objekte abgegeben und die Fundstellen gemeldet werden.

Brauche ich für die Suche mit dem Metalldetektor eine Bewilligung?

Das ist kantonal geregelt. Heute bekommt man eine Bewilligung nicht mehr ganz so leicht, denn die Anforderungen an einen Hobbyforscher sind hoch. Die Person muss die Bedeutung des Fundes erkennen, die Fundstelle richtig einmessen und vor allem auch dann aufhören können, wenn es spannend wird.

Welche Strafen drohen, wenn ich illegal suche, also zum Raubgräber werde?

Das kann schnell mehrere Zehntausend Franken kosten. Wer nämlich einfach wild drauflos gräbt, zerstört in der Regel die Fundstelle. Wir müssen dann alles aufwendig dokumentieren und die Funde konservieren. All diese Kosten werden in Rechnung gestellt. Die Polizei hat auch ein Auge auf Raubgräber und kontrolliert, wer eine Bewilligung hat und wer nicht.

Bilder: Daniel Winkler

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