Die mutigen Wildheuer von Wiesenberg

Reportage / Zentralschweiz am Sonntag

Das Gelände ist steil, das Heuen eine Knochenarbeit und gefährlich. Zu Besuch bei Familie Niederberger in Wiesenberg im Kanton Nidwalden.

Jeder Schritt ist gut überlegt. Vorsichtig setzen wir Fuss vor Fuss. Der Überlebensinstinkt hilft bei der Konzentration. Links geht es steil den Berg hinauf, rechts noch steiler, ja fast senkrecht hinunter. Wenn man hier stolpert, herrscht Todesgefahr. Wir befinden uns auf einer Wiese, der so genannten Plangge, 1400 Meter über Meer. Im Sagerts, einem 4 Hektaren grossen Gebiet des Stanserhorns, oberhalb vom nidwaldnerischen Wiesenberg.

Der bärtige Wildheuer 

Es duftet kräftig nach wilden Kräutern, nach Heu. Das Panorama ist atemberaubend. Das kleine Hörnli des Stanserhorns ragt majestätisch über unseren Köpfen in den blauen, wolkenlosen Himmel. Auf der gegenüberliegenden Talseite reihen sich der Arvi, der Gummen, die Walenstöcke und der Brisen aneinander. «Der Arbeitsort entschädigt für die harte Arbeit», sagt Sepp Niederberger.

Der bärtige 53-Jährige steht mit einem grossen Rechen mitten im Heu. Sepp Niederberger ist Wildheuer. Zusammen mit seinen beiden Kindern Sandra (19) und Armin (21), seiner Frau Margrit (47) und seinem Bruder Markus (35) bewirtschaftet er an diesem Nachmittag die Wiese am Stanserhorn. Alle ausser Armin rechen Heu zusammen. Armin selber hat ein Blasgerät geschultert. «Damit geht es ein bisschen einfacher. Auch wenn der Krach die Wanderer ein bisschen stört», sagt Armin Niederberger.

Schuften bei über 30 Grad 

Es ist Mittag, die Sonne brennt erbarmungslos. Die Niederbergers schuften bei über 30 Grad. Das Heu wird von oben am Hang nach unten gerecht. Gestern wurde es mit einem speziellen Bergmäher geschnitten. «An anderen Orten müssen wir das Gras von Hand schneiden, da es zu steil ist», sagt Sepp Niederberger.

Die Niederbergers bewegen sich trotz der enormen Steigung trittsicher mit ihren schweren, klobigen Wanderschuhen im Gelände. Aber nicht nur die Steigung ist gefährlich. Das Heu macht den Boden zusätzlich glitschig. Doch das macht den Niederbergers nichts aus. «Es gibt Fotos im Familienalbum, da turnen die Kinder schon mit sieben Jahren am Hang herum», sagt Mutter Margrit. Und auch Sepp hat das Wildheuen im Blut. Seit seiner Kindheit kennt er nichts anderes.

Wildheuer der Ober-Sulzmatt in Wiesenberg grasen im steilen Hang. Aufgenommen am 20. August 2009 in Wiesenberg. (Bild Chris Iseli/ Neue LZ) Wildheuen, Schauplatz, Bergbauern, Ober-Sulzmatt, Wiesenberg

Armin Niederberger schleppt einen Heuballen den steilen Hang hinunter. (c) Zentralschweiz am Sonntag, Chris Iseli

Viele Mineralien 

Trotz der Gefahr: Ernsthaft verletzt habe sich Niederberger nie. «Aber es kam schon vor, dass ich den Hang hinunterrutschte.» Besonders das andere Gebiet, das sie ebenfalls bewirtschaften, auf dem kleinen Hörnli, sei sehr steil. «Da muss man die Steigeisen anziehen», sagt Sepp Niederberger. Das hört Margrit nicht gerne. Wenn ihre Mannen dort oben sind, habe sie immer ein bisschen Angst, sagt sie.

Doch es lohne sich, diese Gefahr auf sich zu nehmen. «Das Heu hat sehr viele Mineralien», sagt Sepp Niederberger. Auch wilde Kräuter wie zum Beispiel wilde Minzen seien im Heu enthalten. «Das ist gut für die Qualität der Milch», sagt Niederberger, der auf seinem Hof Milchwirtschaft betreibt und 16 Kühe besitzt. Nachdem die Niederbergers das Heu mit dem Rechen zusammengetragen haben, wird es mit Netzen zu «Burdenen», grossen Ballen, zusammengeschnürt. Jede dieser Burdi wiegt rund 50 Kilo. Diese «Binggle», wie Sepp die Burdenen nennt, werden geschultert und im steilen Hang zu einem Depot getragen. «Wenn wir das Gleichgewicht verlieren, lassen wir die Burdi los. Dann rutscht sie den Hang hinunter und ist verloren», sagt Sepp Niederberger. Deshalb seien sie sehr vorsichtig, schliesslich habe es viel Mühe gekostet, dieses Heu zu mähen und zu sammeln. «Da möchte man am Schluss keine Fehler machen.»

Das Gefährlichste zum Schluss 

Beim Depot angekommen, werden die Burdenen eingehakt und an ein Heuseil gehängt. Mit einem lauten Sausen fliegen die Bündel einzeln zu einer Zwischenstation. Ein Transporter bringt sie anschliessend zum Hof in Wiesenberg.

An diesem Nachmittag müssen die Niederbergers aber noch viele Heubinggle zusammenschnüren, bis sie diese auf ihren Hof bringen können. Fertig sind sie aber in diesem Sommer mit dem Wildheuen noch nicht. Sepp Niederberger zeigt auf das kleine Hörnli des Stanserhorns. Kaum vorstellbar, dass dort oben geheut werden kann. Zwischen Felswänden sind kleine Wiesen zu sehen. «Nächste Woche geht es da rauf. Das ist unser Zückerchen zum Abschluss der Saison.»

(Titelbild: (c) Zentralschweiz am Sonntag, Chris Iseli)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.