Im Spielhöllenhimmel

Reportage / Migros-Magazin

Spielhallen sind in der Schweiz rar geworden. Doch in Garagen und Hobbyräumen haben Sammler ihre ganz eigenen Spielewelten eingerichtet.

Ivo Vasella – Der Sammler, der gern restauriert

Es gibt keinerlei Hinweis darauf, was sich hinter der Stahltür eines Fabrikgebäudes in einem ehemaligen Industriegebiet in Zürich verbergen könnte. Eine unscheinbare Treppe führt ins Untergeschoss. Nichts verrät, dass sich hier die grösste private Spielhölle Zürichs, wenn nicht der Schweiz, befindet. Ein langer schmaler Gang führt zu einer weiteren Tür. Dahinter: ein Raum von 250 Quadratmetern. Hier stehen über 100 Spiel­geräte, davon mehr als 50 Flipper­kästen einer neben dem anderen, nach Jahrzehnten geordnet. Der älteste Kasten stammt aus dem Jahr 1932, der neueste aus 2016. Sie alle sind funktionstüchtig. Blinken, klingeln, sprechen. Der Raum beherbergt auch eine kleine Bar, die Theke besteht aus ausgedienten Flippern, in einer Ecke stehen rote Diner-­Bänke, wie man sie aus amerikanischen Filmen kennt.

Spielesammler Ivo Vasella

«Outlane» nennt Ivo Vasella sein Spielparadies, das er seit gut drei Jahren betreibt. «Das Outlane ist ein Drittel Bar, ein Drittel Museum und ein Drittel Spielsalon», sagt der 50-Jährige, der den Raum zusammen mit Freunden eingerichtet hat. Wer hier zocken will, der muss Vereins­mitglied werden oder den Raum für einen privaten Anlass mieten. Der Mitglieder­beitrag beträgt 100 Franken pro Jahr. Für Vasella, gelernter Architekt und in der Kommunikation tätig, unkomplizierter Kumpeltyp, ist das Spiel­lokal ein Hobby.

Geöffnet ist es zweimal im Monat, Donnerstag- und Freitagabend. «Mein Ziel ist es, dass ich jeden Monat auf eine schwarze Null komme. Damit ich die Miete von 2500 Franken bezahlen kann», sagt Vasella. Zwar können die 80 Vereinsmitglieder an den Flipperkästen nicht gratis spielen – ein Spiel kostet einen Franken – doch Geld lässt sich damit nicht mehr verdienen. «Das will ich auch nicht. Mir geht es eigentlich darum, diese wunderschönen Flipperkästen zu zeigen.» Jeder von ihnen wider­spiegle den Zeitgeist, der in dem Jahrzehnt, in dem das Gerät gebaut wurde, gerade angesagt war. In den 60er-Jahren war es das Thema Weltraum, in den 80ern Fantasy, in den 90ern waren es vor allem Block­buster. Heutige Kästen haben Fernseh­serien zum Thema, etwa «Game of Thrones».Wenn der Flipperkasten stöhnt

Jeden der Flipper seiner Sammlung hat Ivo Vasella eigenhändig geflickt und restauriert. Er macht das schon seit 30 Jahren. Die Sammlung sei eigentlich nur ein Nebenprodukt seiner Leidenschaft für das Restau­rieren von Flippern. «Mich fasziniert die Technik, die Mechanik, die in diesen Geräten steckt. Man muss sich das einmal vorstellen: Die Stahlkugel, die im Kasten hochgeschossen wird, ist 80 Gramm schwer und erreicht Geschwindigkeiten von 40 Kilometern pro Stunde. Der Flipper muss also ziemlich robust sein. Gleichzeitig ist in moderneren Kästen sensible Elektronik verbaut.»

Fast zu jedem Flipper kann Vasella eine Anekdote erzählen. Einer seiner Flipperkästen macht während des Spiels Geräusche, als würde jemand stöhnen. Das Gerät sei noch in den 80-Jahren nicht überall auf­gestellt worden: Die Geräusche fand man zu vulgär. In Vasellas Spielsalon hin­gegen wird der Kasten noch lange stöhnen dürfen. «Solange ich die Miete zahlen kann, will ich den Raum weiter betreiben. Ich habe noch genug Flipper, die ich restaurieren will.»Raymond CornuDer leidenschaftliche Spieler

Raymond Cornu – Der leidenschaftliche Spieler

Auch Raymond Cornus Leben dreht sich um Flipperkästen. Er ist jedoch kein Restaurateur, sondern ein leidenschaftlicher Spieler. Für ihn sind seine Flipperkeine kühlen Maschinen. Diese Apparate haben eine Seele. «Die Flipperkästen sind weiblich. Sie stecken voller Über­raschungen. Man weiss nie, was als Nächstes passiert», sagt Cornu mit einem charmanten Waadtländer Akzent. «Ausserdem muss man beim Spielen mit ihnen gefühlvoll umgehen. Wie mit einer Frau eben.»

Raymond Cornus.

Fünf Flipper stehen in Cornus Garage in Zofingen AG. Mehr passen nicht hinein. Hier spielt der 73-Jäh­rige täglich im Neonlicht, zwischen Vorratsregal und Gartenschlauch. Im vergangenen Jahr hat er 640 Stunden gespielt. Woher er das so genau weiss? Der ehemalige Buchhalter hält die Spieldauer täglich in einem Notizbuch fest, und das seit Jahren.

Laut Cornu besteht ein Flipperspiel zu 75 Prozent aus Können und zu 25 Prozent aus Glück. Fünf Kugeln hat ein normales Flipperspiel. Wer wissen wolle, wie gut er spiele, könne sich an folgende Formel halten: «Wenn das Spiel weniger als 15 Minuten dauert, ist das schlecht. 15 bis 20 Minuten ist ok. Zwischen 20 und 25 sind schon gut. Über 30 Minuten sind Spitzenklasse.» Cornu schafft die 30 Minuten in der Regel locker.Das Flippern hält ihn jung

Schon als Lehrling ist Cornu den Flipperkästen verfallen. Damals spielte er noch in Beizen. Ziel war es, sich Freispiele zu erflippern. «Am Flipperkasten kamen alle zusammen. Deutschschweizer, Romands, Italiener, Spanier. Wir haben geflippert und Bier für 45 Rappen die Stange getrunken.» Das war 1963.

Seinen ersten eigenen Flipperkasten bekam Cornu zum 60. Geburtstag von seiner Frau und seinen Kindern geschenkt. Seither ist das Flippern seine Methode zu entspannen. «Wenn ich nervös bin, dann gehe ich in die Garage», sagt Cornu.

Einen Finger kann Raymond Cornu mittlerweile nicht mehr zum Spielen gebrauchen. Zu sehr hat er ihn strapaziert. «Das macht nichts. Ich benutze einfach einen anderen.» Denn ans Aufhören denkt er nicht. «Flippern hält mich jung.»Manuel MeyerDer Tüftler und Bastler

Manuel Meyer – Der Tüftler und Bastler

Ziemlich voll ist auch Manuel Meyers Garage in Tennwil AG. Hier stehen keine Flipper, sondern mehr oder weniger moderne Computerspiel­automaten. Solche, die man aus klassischen Spielhöllen kennt: Mit nachgebauten Gewehren lassen sich auf dem Computerschirm Zombies abschiessen, in Simulatoren können Autorennen gefahren werden.

Manuel Meyer.

Damit die 15 sogenannten Arcade-­Automaten gerade stehen, hat der 38-Jährige extra einen Holzboden aus Span­platten in seine Garage gebaut. Im Winter schützt Meyer die Geräte mit einem Entfeuchter vor Schäden. Noch mehr Automaten passen in seine Garage nicht hinein. Deshalb möchte er sie vergrössern. «Früher standen meine Automaten noch in der Küche. Ich bin froh, dass mir nun eine grosse Garage zur Verfügung steht.»Münzen aller Art

Seine Liebe zu den elektronischen Spielkisten entdeckte Meyer bereits als Kind. «In den Ferien in Spanien und Italien standen an jeder Ecke solche Geräte. Sie waren ein Elternschreck. Ich musste immer gleich daran spielen. Damals habe ich mir nicht träumen lassen, dass ich selber einmal solche Automaten besitzen würde.»

Vor sieben Jahren kaufte Meyer den ersten Spielautomaten. Seither sucht er online nach Schnäppchen. Je nach Zustand könne ein Gerät zwischen 150 und 2200 Franken kosten. Meyer, gelernter Informatiker, setzt die Automaten wieder instand. Er öffnet sie, überprüft die Elektronik. Dabei findet er manchmal in den Schlitzen Geld. «Aus einem Automaten konnte ich mal 40 Franken herausholen.» Manchmal sind es auch Münzen ausländischer Währungen, beispielsweise Yen.

Bei Meyer steht das Basteln mehr im Vordergrund als das Spielen. «Klar game ich auf den Automaten auch. Ich muss ja schauen, ob alles funktioniert.» Etwa zweimal im Jahr kommen Freunde zu Meyer nach Hause zum «Game and Grill». «Wir fangen am Nachmittag mit dem Spielen an und hören irgendwann nach Mitternacht auf.»Andy OsterwalderDer Raritäten-Stöberer

Andy Osterwalder – Der Raritäten-Stöberer

Dass Spieleautomaten nicht modern sein müssen, um cool zu sein, zeigt die Sammlung von Andy Osterwalder. Viele seiner Automaten sind fast 100 Jahre alt. Sie stammen aus einer Zeit, als Münzspielautomaten in Restaurants an den Wänden hingen, aus den 1920er- oder 1930er-Jahren. Gut 100 Stück gibt es in Osterwalders Wohnung in Basel – auch skurrile und nicht jugendfreie. An einem Gerät aus den 50er-Jahren muss der Spieler möglichst hohe Stromstösse aus­halten. Dafür legt er seine Hände auf zwei Metallgriffe, durch Drehen des einen Griffs kann die Strom­stärke erhöht werden. «Das kann schon heftig werden», sagt der 50-Jährige.

Andy Osterwalder.

Bei einem anderen Automaten, dem «Circle of Pleasure» von 1905, können nach dem Zahlen eines Pennys durch eine Guckbrille zehn erotische Stereobilder von barbusigen Schönheiten bestaunt werden. Ein Foto nach dem anderen wird dem Betrachter ratternd präsentiert. «Damals war das ein Highlight. Das kann man sich in Zeiten des Internets gar nicht mehr vorstellen.»Überraschungsfund Mäusegerippe

Osterwalder, gelernter Elektriker, der in der Informatik arbeitet, restauriert die Geräte und achtet darauf, nur Originalteile oder zumindest Materialien zu verwenden, die es zu der betreffenden Zeit gab. Manchmal gibt es eine eklige Überraschung, wenn er einen alten Automaten zum ersten Mal öffnet. «Ich entdeckte schon ein Mausgerippe und ein Mäusenest im Innern. Das war schon unangenehm.»

Der Spielesammler wird im Internet oder bei befreundeten Händlern fündig. «Manchmal lagern die Geräte in Scheunen oder Dachböden.» Er investiert meist mehrere Hundert Franken. Sein wertvollstes Objekt ist mittlerweile mehr als 5000 Franken wert. Gespielt wird in seiner Wohnung übrigens selten. «Ich finde die Automaten optisch einfach schön.»Interview«Flipperkästen stehen in ganz normalen Wohnungen, aber auch in Luxusvillen»

Interview

«Flipperkästen stehen in ganz normalen Wohnungen, aber auch in Luxusvillen»

Thomas Schwab (53) betreibt in Schalunen BE ein Geschäft, wo Flipper- und Jukeboxautomaten gekauft, restauriert und gemietet werden können. Kunden begrüssen ihn oft mit «Flipperdoktor».

Wer interessiert sich für solche Flipperkästen?

Viele Leute, die früher als ­Studenten in Beizen zur Entspannung geflippert haben. Für sie sind die Geräte Nostalgie. Ansonsten sind die Käufer bunt durchmischt. Für Repa­raturen bin ich sowohl in ganz normalen Wohnungen wie auch in Luxusvillen unterwegs. Grundsätzlich kann man sagen, dass eher Menschen ab 40 Flipperspieler sind. Sie haben den Platz und das nötige Kleingeld.

Kaufen auch Frauen solche Kästen?

Kaum. Aber wenn sie es tun, sind es so richtig Angefressene. Frauen interessieren sich mehr für die Jukeboxen.

Was macht einen guten ­Flipperkasten aus?

Er muss viele Spielmöglich­keiten haben und logisch ­aufgebaut sein. Guter Sound gehört ebenfalls zu einem ordentlichen Kasten. In die Flipperkästen der neuesten Generation wird heute ­modernste Computertechnik verbaut. Früher war das alles elektromechanisch.

Woher kommen die ­erfolgreichsten Flipper­kästen?

Aus den USA. Die sind im Bau der Kästen eindeutig die Nummer eins.

Spielen Sie privat eigentlich auch?

Nein, ich bin ein absoluter Nichtspieler. Mich interessiert mehr das Drumherum derFlipper: die Technik, die Geschichte. Wenn einer kaputt­geht, liebe ich die technische Herausforderung und lasse nicht locker, bis das Gerät wieder läuft. 

Bilder: Daniel Winkler

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