Reportage / 20 Minuten Online
Wird es dunkel, beginnt die Arbeit der Bürgerwehr in Ebikon. Mit Handschellen und Bärenabwehrspray lauern sie Verbrechern auf – und setzen auf eine spezielle Taktik.
Roland Furrer macht eine ernste Miene, dann sagt der Chef der Bürgerwehr Ebikon: «Okay, wir gehen jetzt rein.» Es klingt ein bisschen so, als würden wir gleich ein Kampfgebiet einer Krisenregion betreten. In Wirklichkeit gehen wir hinein in die Nacht, in einem ziemlich beschaulichen Quartier in der Luzerner Gemeinde Ebikon. Trotzdem: Für die Bürgerwehr Ebikon ist das hier tatsächlich ein Krisengebiet, eines aus 90 Einfamilienhäuschen, um genau zu sein.
«Was wir hier machen, ist nicht ungefährlich», sagt der 54-jährige Ex-Boxer. Viele Einbrüche habe es hier schon gegeben. Viel mehr, als man von der Polizei erfahre. Doch Furrers Leute sind in dieser Nacht bereit, solche Einbrüche zu verhindern. Es ist bald Mitternacht und es hat angefangen zu schneien. Während es sich die Ebikoner Bevölkerung längst in der warmen Stube gemütlich gemacht hat, stehen Furrer und zwei weitere Bürgerwehrler in der Kälte an einer dunklen Ecke im Quartier. Es werden gekrümmte Stumpen geraucht, Furrer gibt die Spielregeln für die Reportage bekannt. «Der da redet mit dir, der da nicht. Und du musst akzeptieren, dass dir nicht alle Fragen beantwortet werden. Fotos kannst du machen, aber ohne Gesicht.»
Die Bürgerwehr Ebikon ist eine verschwiegene Truppe. Das hat aber einen guten Grund, versichert Furrer: Auch die organisierten Banden seien auf der Hut. «Würden sie unsere Namen kennen, könnten sie uns bedrohen.» Davor warnt auch Urs, mit dem man reden darf, der aber seinen richtigen Namen nicht verraten will. Urs ist Mitte zwanzig und seit einigen Jahren bei der Bürgerwehr dabei. Er ist komplett schwarz gekleidet, an seinem rechten Oberschenkel trägt er einen 0.5-Liter-Bärenabwehrspray wie eine Pistole in einem Halfter. Zur Ausrüstung eines Bürgerwehrlers gehören zudem Handschellen und eine schusssichere und stichfeste Weste. «Wir betreiben das ziemlich professionell hier», sagt Furrer nicht ohne Stolz. Auch Urs verrichtet seine Arbeit mit einem gewissen Ehrgefühl. «Die Bevölkerung schätzt uns. Wir machen das Quartier sicherer. Die Polizei und der Staat können nämlich die Sicherheit nicht mehr gewährleisten.»
Bei Verdacht wird das Haus umstellt
Zur Professionalität der Bürgerwehr gehört auch eine eigens ausgedachte Einsatztaktik. Urs ist nicht ohne Grund schwarz gekleidet. Seine Aufgabe ist an diesem Abend, sich zu verstecken. Er beobachtet aus dem Hinterhalt das Quartier. Sein Kumpel hingegen ist wie ein Spaziergänger gekleidet. Dieser läuft durch die Gegend und meldet Urs mittels Handy – im Notfall auch per Funk – verdächtige Aktivitäten. Urs pirscht sich dann im Schutze der Dunkelheit an das verdächtige Objekt heran. Befindet sich darin der Einbrecher, wird das Haus von der Bürgerwehr umstellt. «Wir rufen dann aber schon die Polizei», versichert Urs. Sollte der Einbrecher aber vorher aus dem Haus kommen, versucht die Bürgerwehr, ihn zu ergreifen. Ob Urs selber schon mal eingreifen musste, will er nicht verraten. Bekannt ist aber, dass Roland Furrer vor einigen Jahren einen Einbrecher auf frischer Tat ertappte. Was folgte, war eine wüste Prügelei. Sowohl Furrer als auch der Einbrecher mussten mit Rissquetschungen am Kopf ins Spital.
In dieser Nacht scheint es jedoch ruhig in Ebikon. Furrer und seine Mannen laufen durchs Quartier und zeigen besonders heikle, meist dunkle Ecken. «Dort wurde schon eingebrochen. In diesem Haus auch und in dem da hinten vor einigen Jahren auch», sagt Furrer und zeigt mit dem Finger auf die Häuser. Während des Spaziergangs lassen immer wieder automatische Bewegungsmelder die Häuser in hellem Licht erstrahlen. «Dank ihnen können wir gut erkennen, wo sich im Quartier Personen befinden», sagt Furrer. Doch leider würden die auch die Position der Bürgerwehrler selber verraten. «Wir wissen aber, wie man die Lichtmelder umgehen kann», sagt Urs.
Eine eingeschworene Truppe
Mittlerweile ist der Schneefall richtig heftig geworden. Und auch der hartgesottenste Bürgerwehrler gönnt sich nun eine Kaffeepause. Zudem sei die Wahrscheinlichkeit ziemlich gering, dass bei diesem Wetter die Einbrecher unterwegs seien, weiss Furrer. Den Kaffee gibt es bei ihm zu Hause in der Küche. Furrer, von Beruf Siebdrucker, wohnt in Ebikon zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn in einem Einfamilienhaus. Urs und sein Kumpel sitzen ebenfalls beim Kaffee. Auch sonst versammle sich die Bürgerwehr, die mittlerweile aus sechs Mitgliedern besteht, in der Freizeit bei Furrer. «Wir machen viel zusammen, gehen zum Beispiel auf Kristallsuche in die Berge», sagt der Chef der Crew.
Die Bürgerwehr Ebikon sei eine eingeschworene Truppe – aber kein Haufen von Rambo-Typen, versichert Furrer. «Weisst du, wenn man in einer Bürgerwehr ist, dann noch Ex-Boxer und eine Glatze hat, könnten manche schon auf falsche Gedanken kommen», sagt der Hüne, der für die SVP Ebikon in der Einbürgerungskommission sitzt. «Rechtsextreme sind wir nicht. Im Gegenteil: Ich habe nichts gegen Ausländer. Ich habe nur etwas gegen Kriminelle. Egal, ob die nun Schweizer sind oder sonstwo herkommen.» In der Einbürgerungskommission verstehe er sich jedenfalls gut mit den anderen Parteien – auch mit der SP und den Grünen.
Nach nur gerade 10 Minuten in der Wärme ist es für Urs und seine Kumpel Zeit, wieder hinauszugehen und noch die ganze Nacht durch Ebikons Strassen zu patrouillieren. Wortlos ziehen sie von dannen. Das Dorf darf keine Sekunde aus den Augen gelassen werden. Die Einbrecher hier gönnen sich schliesslich auch keine Kaffeepause.
(c) alle Bilder: 20 Minuten, Andreas Bättig