Harte Jungs durchbrechen die Idylle

Reportage / Zentralschweiz am Sonntag

Wenn «die Schwarzen» kommen, ist im Muotatal der Teufel los. Am «Mountains of Death»-Festival treffen Gottesfürchtige auf Satansanbeter.  

Von weitem ist ein Röhren zu hören. Weit hinten, im Tal. Ein Röhren, bei dem jemand mit voller Leibeskraft in ein Mikrofon schreien muss – hundertfach verstärkt durch grosse Musikboxen. Dieses Röhren hallt durch den Kessel des Muotatals. Vorbei an den Bauern, die gerade in der Nachmittagshitze an den Hängen das letzte Sommergras mähen. Vorbei an der Sägerei, wo an Werktagen fleissig gearbeitet wird, vorbei an 3600 Menschen, die hier in der idyllischen Gemeinde Muotathal leben, ruhig und für sich.

An diesem Wochenende jedoch ist es mit der Idylle vorbei. Dann kommen sie, «die Schwarzen», wie sie von den Einheimischen genannt werden. Die Schwarzen, das sind Death-Metal-Fans aus der ganzen Welt. Für drei Tage sind 1500 von ihnen am «Mountains of Death»-Festival und schwingen ihre meist langen Mähnen zu ohrenbetäubend lauter Gitarrenmusik – die meisten von ihnen tragen ausschliesslich schwarze Kleider.

Heuen oberhalb des Festgeländes 

«Am Anfang war die Bevölkerung schon ein wenig skeptisch, als die so ganz schwarz angezogen durch das Dorf gelaufen sind», sagt der Muotathaler Remigi Heinzer (44). Zusammen mit seinem Sohn Mike (9) mäht er auf einer Wiese hoch oben mit einer Sense das Gras. Hinter ihm erkennt man ganz winzig die vielen Zelte, in denen die Festivalbesucher, die Metaller, wohnen. «Doch bis jetzt gab es nie gross Probleme.» Heinzer ist Bauer im Muotatal. Auf seinem Hof leben 20 Kühe, die nun auf der Alp sind und normalerweise dort grasen, wo gerade das Festival stattfindet. Heinzer stellt jedes Jahr sein Land zur Verfügung und wohnt in der Nähe des Festival-Zeltplatzes. «An Grümpelturnieren habe ich mehr Ärger mit Einheimischen als mit diesen Festivalleuten», sagt Heinzer, nimmt einen Stein hervor und schleift seine Sense. «Nur in der Nacht muss Hund Finn viel bellen, wenn ab und zu wieder einer zu nahe am Hof vorbeiläuft.» Aber das sei ja schliesslich seine Aufgabe.

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Remigi Heinzer (44) bereitet zusammen mit seinem Sohn Mike (9) die Sense für das Heuen vor. Im Hintergrund ist das Zeltdorf des «Mountain of Death»-Festivals zu sehen. (c) Neue Luzerner Zeitung, Philipp Schmidli

Zusatzverdienst für «Durst-Sepp» 

Heinzer ist nicht der Einzige im Muotatal, der Gutes über die Metaller sagt. Fragt man im Dorf rum, hört man das Wort «freundlich» oft. Die Muotathaler und die Metaller scheinen sich offenbar gut zu vertragen. Und manch einer aus dem Dorf freut sich über einen Zusatzverdienst, den er während des Wochenendes machen kann. Zum Beispiel Josef Betschart, den sie alle nur den «Durst-Sepp» nennen. Bei seinem Haus stapeln sich Getränkekisten und Bierfässer. Mit einem Gabelstapler lädt er gerade ein Palett Bierfässer auf einen Anhänger. Betschart beliefert an den Festivaltagen die durstigen Metal-Fans mit Getränken und zeigt sich beeindruckt über deren Konsum. «Das ist eine wirklich trinkfreudige Gesellschaft.» 6000 Liter Bier werde ungefähr am Wochenende getrunken. Das sei Jahresrekord und weitaus mehr, als an jedem Dorffest getrunken werde. Bei schlechtem Wetter stehe zudem das Kafi Schnaps hoch im Kurs.

Für den 61-Jährigen ist die Belieferung für das Festival ein 24-Stunden-Job. Hauptberuflich ist der Durst-Sepp jedoch Buschauffeur. Den Getränkeservice betreibt er nebenher – er beliefert vorwiegend Dorffeste und Restaurants. Auch er weiss von der anfänglichen Skepsis der Dorfbevölkerung gegenüber den Metallern. Ihm persönlich sei aber egal, welche Gesinnung oder welche Musik jemand höre. Schliesslich seien die Besucher des Death-Metal-Festivals ja meist sehr anständig.

Aussprache mit dem Pfarrer 

Dieser Meinung ist auch Irène Betschart, Geschäftsführerin des Spar-Ladens in Muotathal. Das Lager ist hier gut aufgefüllt. Mehrheitlich mit Bier, Bier und Bier. Aus den Musikboxen düdelt Gölä vor sich hin, und Kassierin Klara Betschart (55) schiebt gerade Grillwaren für drei langhaarige Gesellen über die Kassentheke. Man unterhält sich, scherzt, die Stimmung ist gut. «Das ist für alle hier ein Erlebnis», sagt Irène Betschart.

Das «Mountains of Death»-Festival scheint in der Tat für alle hier ein aufregendes Ereignis zu sein. Doch nicht immer stiessen die Veranstalter auf Wohlwollen. Einmal, so erzählt Mitorganisator Stefan Arletti, hätten religiöse Kreise im Muotatal Bedenken bei der Gemeinde angemeldet. «Okkultes» würde bei diesem Festival praktiziert, hiess es. Die Bedenken seien aber nach einem Treffen mit dem örtlichen Pfarrer und dem Gemeindepräsidenten aus der Welt geschafft worden.

Schaut man die T-Shirts und die Symbole der Metaller jedoch auf dem Festivalgelände ein wenig genauer an, könnte in der Tat der Eindruck entstehen, dass hier im katholischen Muotatal nicht gerade religiöse Gottesfreunde ans Festival strömen. Auf den Shirts sind Totenköpfe und Zombiewesen zu sehen.

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Teuflisch: Ein maskierter Heavy-Metal-Fan. (c) Neue Luzerner Zeitung, Philipp Schmidli

Gemeinsames Thema: der Tod 

Nachfrage bei der Franziskanerschwester Monika Gwerder (81), die seit 61 Jahren im Kloster Muotathal zusammen mit sechs weiteren Schwestern lebt. In einem dunklen Zimmer, an dem ein Kreuz mit Jesus hängt, nimmt sie sich noch vor dem Rosenkranzgebet kurz Zeit. «Ich urteile nicht über Menschen. Das tut nur Gott.» Vom Festival habe sie nicht viel mitbekommen. Zumindest haben die Metaller und Schwester Gwerder eines gemeinsam: Sie beschäftigen sich mit dem Tod – oder Death, wie es bei der Veranstaltung heisst. «Der Tod ist etwas Gutes», findet Schwester Gwerder. «Denn danach fängt das Leben erst an.» Unser irdisches Dasein sei nur ein kleiner Teil in unserem unendlichen Leben. Und auch die Metaller, die möglicherweise nicht an Gott glauben würden, hätten gute Chancen, schlussendlich doch noch in den Himmel zu kommen, so die Ordensschwester. «Denn Gott ist ja barmherzig.»

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Göttlich: Franziskanerschwester Monika Gwerder. (c) Neue Luzerner Zeitung, Philipp Schmidli

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